DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT

-schauspiel nach karl kraus-

volkstheater wien

premiere am 1. mai 2014

 

regie & bühne:         thomas schulte-michels

kostüme:                 tanja liebermann

mit:

marcello de nardo, günter franzmeier, günther wiederschwinger, roman schmelzer, erwin ebenbauer, rainer frieb, haymon maria buttinger,thomas kamper, alexander lotzky, partrick lammer, ronald kuste, tany gabriel

 

  • Pressestimmen

    „Mit Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" beweist sich Regisseur Thomas Schulte-Michels am Volkstheater erneut als idealer Mann für handliche Abende. Eine Empfehlung.
    So sehen die sprichwörtlichen Zuckungen des Krieges aus, wie Thomas Schulte-Michels sie aus Karl Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" abgeleitet und ins Schauspiel übersetzt hat. Der für handliche Abende bekannte Regisseur siedelt die unzähligen Schauplätze des voluminösen Erste-Weltkrieg-Dramas in einer Irrenanstalt an. Diese Entscheidung verhilft einem als unspielbar geltenden Stück zu einem bemerkenswerten Theaterabend. Karl Kraus selbst bezeichnete "Die letzten Tage der Menschheit" als "Marstheater". Schulte-Michels gibt dem Gedanken nach und entledigt sich des Lokalkolorits (Wienerisch kommt dennoch vor). Er legt die Folie des Irreseins über die aus Zeitdokumenten destillierten Szenen und bietet dafür die "Heilanstalt Volkstheaterpavillon" auf: ein fabelhaftes Männerensemble, das sich in weißer Patientenkluft und übel geschminkt zum Kriegsspiel aufschwingt. Die Drehbühne "schwemmt" sie immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen an die Rampe. Mit Inbrunst trällern sie die Kaiserhymne, bevor es losgeht. Jeder hier ist ein ganz eigener tragischer Kasper: als Lehrer (Günter Franzmeier), der die Schüler den Patriotismus lehrt, als Kriegsreporterin Schalek (Marcello de Nardo), die vom Eierlikör an der Isonzofront schwärmt, oder als jener Ottokar Kernstock, den Karl Kraus für seine propagandistische Lyrik in der Fackel heftig kritisierte: Erwin Ebenbauer mit Wackelgamsbart und priesterlichem Gemüt. Sie alle machen ihre kleinen Kriegsgeschäfte und haben - stets fernab der Front - ihre dummen Freuden an den veränderten, aufregenden, großmannssüchtigen Verhältnissen. Das Ensemble (weiters: Günther Wiederschwinger, Ronald Kuste, Alexander Lhotzky, Haymon Maria Buttinger, Roman Schmelzer und Patrick Lammer als Pianist) bohrt sich in schnellen,hochkonzentrierten Szenen in diese blinde Kriegsmanie hinein. Es entsteht also in raschen Zügen ein Panorama des Krieges aus sicherer Distanz; Frontszenen gibt es schon bei Kraus kaum, er lenkt das Augenmerk nicht auf die Gräuel, sondern auf die Absurdität der dumpfen Kriegslust, die Niedertracht der Möchtegernheroen samt den fatalen Folgen. Entscheidend für die Tragfähigkeit des Abends ist die Befreiung vom Mief der Geschichte bzw. die von Schulte-Michels gewählte Schablone des Wahnsinns, durch die sich das Geschehen abzeichnet. Es wird nonstop überformt, ohne in die Klischeefalle zu tappen. Das ist keine geringe Leistung.“ (Der Standard)


    „Thomas Schulte-Michels inszeniert „Die letzten Tage der Menschheit“. Zwölf Schauspieler machen das Riesendrama zur rasanten Farce: 105 Minuten – eine echte Hetz. Der Wahnsinn des Ersten Weltkrieges, der zwischen August 1914 und November 1918 an die zehn Millionen Menschen das Leben kostete, wurde von kaum einem Autor soscharfsinnig aufgearbeitet wie von Karl Kraus. Dessen gewaltige, zum Großteil noch im Krieg entstandene Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ deckt in mehr als 200 Szenen schonungslos Irres auf.  Im Wiener Volkstheater hat sich Thomas Schulte-Michels daran gewagt, „Die letzten Tage der Menschheit“ zu inszenieren.  Das Werk wurde auf 49 Szenen heruntergebrochen, in 105 Minuten wird eine rasante Show gemacht. Das Ergebnis: Dem Regisseur und seinem vor allem mit den Mitteln der Posse und der Farce agierenden Team gelingen recht prägnante, kurze Einblicke. Der ausgelassene Wahnsinn hat Methode: Schauplatz ist hier die Heilanstalt Volkspavillon. Über dem am Anfang geschlossenen roten Vorhang mit goldenen Bordüren hängt mächtig der goldene Doppeladler des Habsburgerreiches. In einer Rahmenhandlung tritt ein verrückter, weiß gekleideter Nervenarzt auf (Marcello de Nardo), der elf weitere Herren in weißer Anstaltskleidung vorstellt. Vorerst sind sie Patienten, deren Handicaps sich dann, als der Vorhang aufgeht und eine sich teils drehende schiefe Ebene zum Vorschein kommt, bestens zur Darstellung vertrottelter Offiziere, intriganter Hofräte, aggressiver Kleinbürger und Adeliger benützen lassen. Die Rollenwechsel erfolgen fliegend und ungezwungen. Da wird Günter Franzmeier vom Patienten zum Lehrer mit Rohrstaberl, der den Schülern den Krieg einbläut. Der Rest des Ensembles mutiert zu plappernden Kindern in kurzen schwarzen Hosen. Generäle sind gesucht? Auf ihren mit papierenen Fantasie-Orden behängten Uniformmänteln bauscht sich über den Schulterstücken goldenes Lametta. Von den mehreren Dutzend Rollen übernehmen einige Schauspieler auch die weiblichen. Sie hängen sich einen Pelz um oder wackeln mit falschen, riesigen Brüsten. Der bravourösede Nardo spielt zum Beispiel voller Energie und Überzeugungskraft „die Schalek“ von der „Neuen Freien Presse“, die von Kraus als Archetyp der bösen, kriegsgeilen Reporterin verewigt wurde. Durch die sprachliche Elastizität der Schauspieler ergeben sich durchaus nuancierte Momente, Alexander Lhotzky, Rainer Frieb und Erwin Ebenbauer zum Beispiel treffen den Ton genau, wenn sie Heerführer, Offiziere oder einfache Bürger in all ihrer Eitelkeit und Beschränktheit geben. Thomas Kamper bietet ein Gustostückerl, wenn er als Generalstabschef Conrad von Hötzendorf vor einem Fotografen über einer riesigen Italien-Karte posiert, in der er fast verschwindet. Beeindruckend sind die Szenen, in denen Haymon Maria Buttinger einfache Soldaten im Feld spielt. Sein finaler Auftritt als Kanonier vermittelt sogar sehr direkt den Schrecken. Mit wenigen Sätzen wird ein elendes Schicksal erzählt, aber durch seine Körpersprache, seine Mimik sagt Buttinger noch weitaus mehr.“ (Die Presse)


    „Karl Kraus’ Realsatire "Die letzten Tage der Menschheit" wird seit Donnerstag im Volkstheater gezeigt. Regisseur Thomas Schulte-Michels hat eine eigene Fassung erarbeitet und sie erinnert daran – das ist der große Verdienst der ganzen Aufführung– wiegenial und wie heutig Kraus’ Text ist. Messerscharf entlarvt er Dummheit und Bösartigkeit, die sich hinter gemütlichen Gstantzln und redseligen Doppelconférencen versteckt. In eindreiviertel Stunden gelangt man hier von der hetzerischen Kriegseuphorie zum Weltuntergang, als der Kaiser als überdimensionaler Hampelmann über der Bühne hängt. Fünf Akte, vom Kriegseintritt 1914 bis zum Ende 1918, deklinieren den Schrecken durch. Wo bei Kraus der eingangs bemühte Gott zuletzt "Ich habe es nicht gewollt", sagt, bleiben hier der Reporterin Alice Schalek und dem verzweifelten Soldaten die letzten Worte. Besser: die letzten Taten: Der Soldat erschießt sich. Sie hatte zuvor noch wissen wollen, wie er sich denn so gefühlt habe auf dem Schlachtfeld. Man versteht, warum die echte Schalek gerichtlich gegen Kraus vorging. Schulte-Michels gelingt ein schlüssiger Abend.Großartig die Kostüme (Tanja Liebermann): Die Schauspieler stecken in langen Unterhosen – wir befinden uns in einem Irrenhaus, wie es auch die Rahmenhandlung andeutet. Die Ensembleleistung ist gut, mit etlichen Höhepunkten: Schön irr ist Marcello de Nardo als Schalek, die aussieht wie eine Mischung aus Mary Poppins und Hexe von Oz. Ein kurzer, besonders eindringlicher Moment gelingt Haymon Maria Buttinger als Vater, der nach seinem gefallenen Sohn fragt. Sein verzweifeltes Nachfragen "Jo, oba", geht durch Mark und Bein.“ (Kurier)

    „Doch kann das gutgehen? Der Schrecken als Irren-Nummernrevue? Nach anfänglicher Skepsis verschlägt es einem schier den Atem. Es interessiert auch nicht mehr, ob der Mann in Weiß tatsächlich ein Doktor oder doch bloß der Lauteste der Verrückten ist. Die Kostümbildnerin Tanja Liebermann steckt sowieso alle Schauspieler in schmuddelig-weiße lange Unterwäsche und setzt allen Mähnenperücken aus weiß-dürren Strähnen auf. Als Offiziere hüllen sich die Akteure in grau-blaue Staubmäntel, gerne falsch geknöpft, mit teilweise riesigen Epauletten aus Lametta und Phantasieorden aus Pappendeckel und Buntpapier. Wenn Ronald Kuste einen Preußen gibt, setzt er die Pickelhaube auf, als Feldkurat kriegt er einen Riesenrüschenkragen umgeschnallt, während de Nardo immer wieder als Kriegsberichterstatterin Alice Schalek mit Fuchsstola und albernem Hütchen über die Isonzo-Stellungen oder durchs zerstörte Belgrad stakst. Rasend schnell wechseln die Auftritte, die Beteiligten, ob Günter Franzmeier als Kunstbeute beiseite schaffender General oder als patriotischer Volksschullehrer, ob Haymon Maria Buttinger als selbstmörderischer Kanonier oder als Pogatschnigg, genannt „Teut“, bei der Vereinssitzung der des Patriotenvereins „Cherusker“- müßig, alle aufzuzählen, vielleicht aber noch dengroßartigen Patrick Lammer erwähnen, der hier nicht nur mitspielt, sondern auch die musikalische Leitung am Klavier innehat – bringen die Pointen so genau und schlank, dass man zwischen Gelächter und Erschrecken schwankt – eine wundersame Schaukelpartie, angestoßen von dieser übersteigerten Groteske des Kriegsgrauens. (…) Das Volkstheater ist an diesem Abend wahrlich zu dem „Marstheater“ geworden, das Karl Kraus für sein Drama widmungswortreich als einzig angemessene Bühne sich wünschte. Thomas Schulte-Michels nun zieht „Die letzten Tage“ keinen Moment ins Lächerliche, aber ins angemessen Absurde. Die für die Salzburger Festspiele noch vom gefeuerten Burg-Chef Hartmann konzipierte und nun unter Georg Schmiedleitner geplante Inszenierung wird sich schon ein bisserl anstrengen müssen, das zu überbieten. Großer Applaus.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)


    „Doch Schulte-Michels gewinnt für seinen Weltuntergang im Irrenhaus auch jenseits von "pragmatisch" und "schlau" Gewicht. Wohl seit der Nestroy-Blüte in den Achtzigern, in Gustav Mankers Regie, füllte nie mehr ein so körpergewaltiges und in den Zwischentönen harmonisiertes Herrenensemble die Volkstheaterbühne. Weiter im Dutzend der perfekten Irrenmasken: Haymon Maria Buttinger (Feldmarschall Conrad mit unheimlichem Altengesicht), Erwin Ebenbauer (Ottokar Kernstock mit Kriegshetzgedicht), Günter Franzmeier (Schulmeister wie von Spitzweg), Tany Gabriel (irrlichternder Leidensleib), Thomas Kamper (bissiger Patriot), Ronald Kuste (Feldkurat zum Fürchten), Patrick Lammer (schlaksiger Musikmeister), Alexander Lhotzky (Hofrätin Schwarz-Gelber auf Charitytour), Roman Schmelzer und Günther Wiederschwinger (in vielen Uniformen). Der Erste, bereits den nächsten munitionierende Weltkrieg, geplant als Kurzzeit-Strafaktion gegen Serbien, präsentiert sich als jedwede Erfahrung sprengende Absurdität. Die aber speist sich aus unzähligen realen - grausigen, komischen, raffgiertollen, jedem christlichen Gebot hohnlachenden - Mini-Episoden.  Die Regie schaukelt die Absurdität mit Chorgesang (Kaiserhymne, Ein feste Burg ist unser Gott, Wir wolln unsern alten Kaiser Willem wiederham) zu pulsierendem Bühnenleben auf. Obwohl nur rasch portionenweise quergespielt, behält das Werk im Volkstheater seinen Anspruch auf finale Gültigkeit.“ (Wiener Zeitung)